Fallstudie Neurofeedback-Therapie bei Behandlung psychischer Erkrankungen

20. September 2021

Prim. Dr. Gus­tav Rai­mann, Fach­arzt für Neu­ro­lo­gie und Psych­ia­trie, beschreibt in sei­nem Bericht die ver­hal­tens­me­di­zi­ni­sche Metho­de Neurofeedback als wich­ti­gen Bestand­teil der ganz­heit­li­chen Behand­lung psy­chi­scher und psych­ia­tri­scher Erkran­kun­gen und weist auf die Wich­tig­keit der Zusam­men­ar­beit mit Pati­en­tIn­nen und Ange­hö­ri­gen hin.

*Über­set­zung und Zusam­men­fas­sung des Behand­lungs­be­rich­tes Dr. Gus­tav Rai­mann, vom 26.08.2021 (von Mag. Ange­li­ka Jaksch, MAS): Down­load engl. Originalbericht

Neurofeedback-Therapie und Psychoedukation zur umfassenden Behandlung psychischer und psychiatrischer Erkrankungen 

Als Lei­ter der kli­ni­schen Abtei­lung für Psych­ia­trie und Neu­ro­lo­gie, Kli­nik Maria Hilf, Kla­gen­furt, habe ich nach ent­spre­chen­der Dia­gnos­tik zusätz­lich zu medi­ka­men­tö­sen und psy­cho­the­ra­peu­ti­schen The­ra­pien mei­nem Pati­en­ten Neurofeedback und Psy­cho­edu­ka­ti­on emp­foh­len. Neurofeedback wur­de zur zusätz­li­chen Dia­gnos­tik und Regu­la­ti­on neu­ro­na­ler Fehl­funk­tio­nen des zen­tra­len Ner­ven­sys­tems (Gehirn) erfolg­reich ein­ge­setzt. Psy­cho­edu­ka­ti­on konn­te Bewusst­sein für die Zusam­men­hän­ge psy­cho­phy­sio­lo­gi­scher Pro­zes­se, also für die Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen psy­chi­schen und kör­per­li­chen Pro­zes­sen, schaf­fen. Neurofeedback-Dia­gnos­tik, -The­ra­pie und Psy­cho­edu­ka­ti­on wur­den und wer­den von Frau Mag. Ange­li­ka Jaksch, MAS, zert. Biofeedback- und Neu­rofeed­back­the­ra­peu­tin SFU, BFA, Team Neu­ron, Wien, ambu­lant durchgeführt. 

Die Regu­la­ti­on neu­ro­na­ler Fehl­funk­tio­nen (Gehirn­strom­ak­ti­vi­tä­ten) wird mit­tels Neurofeedback trai­niert. Die­se ver­hal­tens­me­di­zi­ni­sche Metho­de, lehrt Pati­en­tIn­nen, Ihre Gehirn­ak­ti­vi­tä­ten zu kon­trol­lie­ren, indem sie erler­nen ihre neu­ro­na­le Erre­gung und Hem­mung bewusst zu steu­ern. Bei der Neurofeedback-The­ra­pie zeich­net ein EEG (Elek­tro­en­ze­pha­logra­phie) die Gehirn­strom­ak­ti­vi­tä­ten auf und mel­det sie zurück (Feed­back). Die­ses Echt­zeit-Feed­back wird für die/den Pati­en­tIn auf einen Bild­schirm gra­phisch ver­ständ­lich dar­ge­stellt. Das Feed­back kann auch akus­tisch (Töne oder Melo­die) erfol­gen, um die Gehirn­strom­ak­ti­vi­tä­ten bewusst zu machen. Ohne visu­el­lem und/oder audi­tivem Feed­back blei­ben die Gehirn(strom)aktivitäten unbe­wusst und damit wil­lent­lich nicht beein­fluss­bar, also autonom.

Vor dem Beginn einer Neurofeedback-The­ra­pie wird zur Dia­gnos­tik eine EEG-Fre­quenz­band­ana­ly­se durch­ge­führt. Dabei wer­den die Leis­tungs­ver­hält­nis­se der Gehirn­strom­ak­ti­vi­tä­ten in und zwi­schen unter­schied­li­chen Fre­quenz­bän­dern (übli­cher Wei­se 1-35 Hz) ana­ly­siert. Die­se soge­nann­te vege­ta­ti­ve Dia­gnos­tik des zen­tra­len Ner­ven­sys­tems (Gehirn) ist die Grund­la­ge der Neurofeedback-The­ra­pie. Wird z. B. eine Fehl­funk­ti­on inner­halb eines Fre­quenz­ban­des fest­ge­stellt, kann die­ses Fre­quenz­band durch ein vari­ie­ren­des Bal­ken­dia­gramm dar­ge­stellt wer­den. Auf- oder Abwärts­be­we­gun­gen des Bal­ken­dia­gramms zei­gen ein­deu­tig jede Ver­än­de­run­gen der Gehirn(strom)aktivitäten. Mit Hil­fe die­ses Feed­backs kann die/der Pati­en­tIn erler­nen, Fehl­funk­tio­nen durch Hem­mung (abwärts) oder Akti­vie­rung (auf­wärts) selbst zu regulieren.

Kli­ni­sche Anwen­dun­gen von Neurofeedback umfas­sen z. B. die Behand­lung von Auf­merk­sam­keits­de­fi­zit-Hyper­ak­ti­vi­täts­stö­rung, Angst, (schwe­re) Depres­si­on, Bor­der­line, Epi­lep­sie, Schlaf­lo­sig­keit, Dro­gen­miss­brauch, Schi­zo­phre­nie, Lern­stö­run­gen, Leg­asthe­nie und Dys­kal­ku­lie, Autis­mus-Spek­trum-Stö­run­gen und vie­le andere.

Frau Mag. Jaksch, MAS erstell­te, neben unse­ren Dia­gno­sen (schwe­re depres­si­ve Epi­so­den und Bor­der­line-Syn­drom, eben­falls eine umfang­rei­che Dia­gno­se und sprach The­ra­pie­emp­feh­lun­gen aus. Die­sen The­ra­pie­emp­feh­lun­gen schlos­sen sich die behan­deln­de kli­ni­sche Psy­cho­lo­gin Fr. Dr. Syl­via Wad­leg­ger und auch ich mich im Rah­men des Gesamt­be­hand­lungs­kon­zepts an. Sowohl der Pati­ent als auch sei­ne Eltern, die fort­lau­fend infor­miert und ein­ge­bun­den waren (und sind), zustimm­ten die­sem Gesamt­be­hand­lungs­kon­zept zu. Die Neurofeedback- und Biofeedback-The­ra­pie setz­te sich wie folgt zusammen:

  • Neurofeedback SCP Training (slow cor­ti­cal poten­ti­als) zur Regu­lie­rung neu­ro­na­ler Erre­gung und Hemmung

Van Doren, J., Arns, M., Hein­rich, H., et al. (2019). Nach­hal­ti­ge Aus­wir­kun­gen von Neurofeedback bei ADHS: eine sys­te­ma­ti­sche Über­prü­fung und Meta-Ana­ly­se.  Euro­pean Child & Ado­le­s­cent Psy­cho­lo­gy, 28(3), 293–305. )

  • Neurofeedback Alpha-Asym­me­trie-Training zur Regu­lie­rung redu­zier­ter neu­ro­na­ler (Beta-) Akti­vi­tät im lin­ken prä­fron­ta­len Kor­tex (Hoypo­ac­ti­va­ti­on)

Baher et al., 1999 (zit. nach Can­tor & Evans 2014), Choi et al., zit. nach Can­tor & Evans) Alpha-Asym­me­try Protokoll

  • Biofeedback- Haut­leit­wert-Training (psy­cho­gal­va­ni­sche Haut­re­ak­ti­on) und -Tem­pe­ra­tur­trai­ning (peri­phe­re Tem­pe­ra­tur) zur Sympathikus-Reduktion

Rice, K.M., Blan­chard, E.B., Pur­cell, M. (1993). Biofeedback-Behand­lung der gene­ra­li­sier­ten Angst­stö­rung: Vor­läu­fi­ge Ergeb­nis­se. Biofeedback und Selbst­re­gu­la­ti­on, 18(2), 93–105.  Kim, S., Woll­burg, E., Roth, W.T. (2012). Gegen Atem­the­ra­pien bei Panik­stö­run­gen: Eine ran­do­mi­sier­te kon­trol­lier­te Stu­die zur Sen­kung vs. Erhö­hung des pCO2-End­ge­zei­ten. Jour­nal of Cli­ni­cal Psych­ia­try, 73 (7), 931-939. )

  • Psy­cho­edu­ka­ti­on zum Ver­ständ­nis der Psy­cho­phy­sio­lo­gie der Erkran­kung (Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen psy­chi­schen und kör­per­li­chen Pro­zes­sen), die erfor­der­li­chen The­ra­pie­maß­nah­men und Selbsthilfestrategien
  • Atem­funk­ti­ons­trai­ning im Baro-Reflex­rhyth­mus zur Regu­la­ti­on atem­ab­hän­gi­ger Herzratenvariabilität
  • Aktive Regeneration zur Regu­la­ti­on von Akti­vie­rung (z. B. Sport, Com­pu­ter­spie­le, usw.) und Regeneration

Für das Gesamt­be­hand­lungs­kon­zept des Pati­en­ten waren Neurofeedback-The­ra­pie, Biofeedback-The­ra­pie, Psy­cho­edu­ka­ti­on und the­ra­pie­be­glei­ten­de Maß­nah­men, wie Aktive Regeneration von gro­ßer Bedeu­tung. Mit Hil­fe die­ses inter­dis­zi­pli­nä­ren The­ra­pie­kon­zep­tes, ist es uns gemein­sam mit dem Pati­en­ten und sei­ner Fami­lie gelun­gen, trotz schwer­wie­gen­den Dia­gno­sen, inner­halb kur­zer Zeit, außer­ge­wöhn­li­che Fort­schrit­te zu machen.